Geleitwort

Verehrte Abiturientinnen und Abiturienten,

Hinlänglich hat es sich herumgesprochen, dass wir nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen (sollen).
Bei Bedarf wird auch noch die lateinische Version gleichsam als Untermauerung des Gesagten herangezogen (Non scholae...)

Nur: Obwohl wir alle zumindest materiell und im Vergleich zu manchen Vorgängergenerationen meist gut abgesichert sind, sind die Signale, die die junge Generation heute empfängt mehr als verwirrend, die Zukunft erscheint seltsam unsicher, die Gegenwart hektisch und kurzatmig.

„Gute Leute bekommen vorzeitig ein Angebot“ (Stuttgarter Zeitung, 16.6.01)
„Die Konjunktur schmiert ab“ (Der Spiegel, 25/2001)
Einerseits werden Uni-Absolventen, insbesondere – man höre und staune! – Lehrer händeringend gesucht, andererseits drohen schon die Vorboten einer Eiszeit: Handyproduktion -10% und noch schlimmer für Otto Normalverbraucher Automobilindustrie -6%.
Ein Blick zurück verschafft auch keine Sicherheit. Waren die sogenannten Start-ups und Dot-coms noch vor wenigen Monaten die Lieblinge und Stars am Börsenhimmel des Neuen Marktes, so verkauft Hollywood jetzt mit sicherem Gespür für attraktive Katastrophenszenarien Filme zur geplatzten High-Tech-Seifenblase (tech bubble).
Titel: Looking Back in Dismay. Was übrigens nicht für Eure Schulzeit gelten soll.

Apropos Technologie: Waren vor 3 Jahren Multifunktions-Armbanduhren, auf denen man alles außer der Uhrzeit ablesen konnte, der große Renner, so werden uns für die nahe Zukunft Multifunktions-Handys versprochen, womit wir Filme anschauen, jedoch sicher nicht ohne weiteres Anrufe tätigen können.

„Noch schneller, noch besser, noch mehr“?
Unsere Gesellschaft lebt von „Machern“, die schwäbische Gesellschaft auch von Käpsele und mutigen Tüftlern. Die gymnasiale Ausbildung am BG sucht diesem Aspekt, dem Vorbereiten der jungen Generation auf Leistungsgesellschaft, Konkurrenzkampf und sich stets ändernden Bedingungen, durch vielfältige Wissensvermittlung gerecht zu werden.

Wir hoffen als Pädagogen jedoch, auch einem anderen Gesichtspunkt gerecht zu werden. Ist es nicht genauso wichtig, die Schüler anzuleiten, innezuhalten und die gegebenen oder allseits propagierten Ziele und Vorgaben kritisch zu hinterfragen und Argumente sorgsam abzuwägen?

Liebe Abiturienten, wir, d.h. Eure bisherigen Lehrerinnen und Lehrer, entlassen Euch nun in ein Leben, in dem individuell der Weg zu finden ist zwischen ehrgeizigen, tempogeladenen Innovationsfetischisten und ewigen Bedenkenträgern und Bremsern.

Ich gratuliere an dieser Stelle im Namen des BG einem umgänglichen und sympathischen Jahrgang zum Abitur und hoffe, dass Ihr als nunmehr „Ehemalige“ dem Burg-Gymnasium verbunden bleibt.

Alles Gute
Jürgen Hohloch